Transitional Justice Veranstaltungsreihe (Winter 2015- Frühjahr 2016)
„Transitional Justice“ bezeichnet die gesellschaftliche und rechtliche Aufarbeitung der von schweren Menschenrechtsverletzungen geprägten Vergangenheit eines Staates. Der Austausch zwischen den internationalen Aufarbeitungsprozessen hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen. Dabei werden die Aufarbeitungsprozesse in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Ende der SED-Diktatur weltweit als gute Beispiele angesehen. Doch gilt dies wirklich und für alle Bereiche von Transitional Justice in Deutschland? Welche Instrumente und Mechanismen wie etwa Lustrationsprozesse, strafrechtliche Aufarbeitung oder Entschädigungsleistungen wurden weltweit genutzt, welche Erfahrungen gemacht? Vor welchen Herausforderungen stehen wir heute? Welche Maßstäbe ergeben sich aus den Menschenrechten für Transitional Justice?
Diesen Fragen ging die Veranstaltungsreihe nach. Sie zog damit eine Bilanz: 70 Jahre Transitional Justice-Prozesse, die 1945 in Deutschland begannen und später in Europa und weltweit Teil von Friedens und Demokratisierungsprozessen wurden. Sie wollte auch
klären, was wir in Deutschland von den weltweiten Entwicklungen lernen können: für die fortdauernde Aufgabe der Aufarbeitung unserer Vergangenheit ebenso wie für die Unterstützung von Transitional Justice Prozessen in unseren Nachbarländern und in Postkonfliktsituationen weltweit. Hierfür bedarf es eines Austausches zwischen Wissenschaft und Praxis aus Deutschland und diesen Staaten.
Die Veranstaltungsreihe „Transitional Justice. Instrumente – Erfahrungen– Herausforderungen“ war eine Kooperation der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, des Deutschen Instituts für Menschenrechte und der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Die Koordination erfolgte durch Dr. Anja Mihr, Leitung des Centers on Governance through Human Rights.
- Gedenken, Erinnern, Bilden (12. Januar 2016, 19 Uhr)
Die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Initiativen, von Gedenkstätten und Bildungseinrichtungen für die Aufarbeitung von Unrechtsgeschichte Gedenken, Erinnern und Bilden tragen dazu bei, den Opfern massenhaften systematischen Unrechts Genugtuung zu verschaffen.
Diese Formen der Auseinandersetzung mit gewaltbelasteter Vergangenheit dienen zugleich der Demokratisierung, indem sie die humane Orientierung einer Gesellschaft stärken und einer Wiederholung des Geschehenen vorbeugen.
Der Opfer zu gedenken bedeutet, Räume für die Trauer um die Getöteten und für Empathie mit den Überlebenden von systematischem Unrecht zu öffnen. Erinnern heißt, sich mit Unrechtsgeschichte kritisch auseinanderzusetzen und diese Geschichte dem Vergessen oder Verdrängen abzuringen. Bilden heißt, Wissen und Erfahrungen weiterzugeben und immer wieder neu zu reflektieren.
Veranstalter: Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft)
- Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen (10. Februar 2016, 18 Uhr)
Die Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen nach einer gesellschaftlichen Transformation gilt als wesentlicher Bestandteil der Aufarbeitung eines überwundenen Unrechtsregimes. Wann aber verlangen die Menschenrechte die Strafverfolgung von Amtsträgern? Welche Erfahrungen hat Deutschland mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Herrschaft und von DDRUnrecht gemacht? In welchem Verhältnis stehen nationale und internationale Strafjustiz? Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, wenn Strafverfolgung auf nationaler Ebene scheitert?
Veranstalter: Deutsches Institut für Menschenrechte
- Entschädigungen - Erwartungen, Erfahrungen und Standards kollektiver und individueller Entschädigungsprogramme nach systematischem Unrecht ( 9. März 2016, 19 Uhr)
Weltweit gibt es zahlreiche Entschädigungsprogramme für die Opfer historischen Unrechts. Die Veranstaltung widmet sich den Unrechtstatbeständen, den Opfergruppen und der Ausgestaltung der Entschädigungsprogramme. Werden die Entschädigungen individuell oder kollektiv geleistet? Welche Erfahrungen gibt es mit Entschädigungsprogrammen aus Sicht der Opfer, welche aus Sicht der damit betrauten Organisationen? Wie haben sich die Ansprüche an Entschädigungsprogramme – auch unter dem Einfluss der Menschenrechte – historisch weiterentwickelt? Die Stiftung EVZ hat in den Jahren 2001 bis 2007 Gelder in Höhe von etwa 4,4 Mrd. Euro an 1,66 Mio. ehemalige NS-Zwangsarbeiter ausgezahlt. Damit ist sie selbst eine Entschädigungsakteurin gewesen.
Veranstalter: Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft)
- Archive als Akteure der Aufarbeitung (18. April 2016, 18 Uhr)
Archive als Akteure der Aufarbeitung Archiven kommt eine wichtige Rolle nicht nur für historische Forschungen zu. Auch in Aufarbeitungsprozessen werden Archivalien
zu Kronzeugen, die dazu beitragen, Täter schwerer Menschenrechtsverletzungen
zu identifizieren und zu überführen. Für die Opfer staatlicher Gewalt hängt von der archivalischen Überlieferung oftmals ab, ob sie mit ihren Erfahrungen Glauben finden
und rehabilitiert werden. Mit der umfassenden Öffnung der Archive der SED-Diktatur zum 3. Oktober 1990 setzte die Bundesrepublik Maßstäbe. Über Nacht wurden nahezu alle Dokumente für Forschung, Medien und Betroffene zugänglich. Insbesondere die Öffnung der Bestände der Geheimpolizei und die Überprüfung von Personen im öffentlichen Dienst gelten als beispielhaft.Veranstalter: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
- Never again! A Framework for Guarantees of Non-Recurrence (11. Mai 2016, 18 Uhr)
Eine der zentralen Funktionen von Transitional Justice ist es, in der Zukunft massive Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Deshalb hat der von den Vereinten Nationen eingesetzte Sonderberichterstatter dem Menschenrechtsrat und der Generalversammlung 2015 Vorschläge vorgelegt, welche Elemente eine umfassende Strategie umfassen muss. Diese reichen von Reformen des Strafrechts und der Verfassung über die Reform des Gerichtssystems und des Sicherheitssektors bis hin zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine Mitgestaltung durch die Zivilgesellschaft.
Veranstalter: Deutsches Institut für Menschenrechte