Viele der drängendsten gesellschaftlichen Fragen sind heute transnationaler Natur: Der Klimawandel, die Coronapandemie und Migrations- und Fluchtbewegungen machen nicht vor nationalen Grenzen halt. Zudem gibt es ein wachsendes Misstrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Demokratie und der Europäischen Union. Um auf Herausforderungen wie die zunehmende ökonomische und soziale Ungleichheit, die Grundrechte verletzende Migrations- und Flüchtlingspolitik und die Frage der gerechten Gestaltung der ökologischen Transformation Antworten zu finden, werden kreative, demokratische, nachhaltige und effektive Ansätze benötigt. Kommunen können einen wichtigen Teil zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen. Sie sind direkt mit den Auswirkungen globaler Herausforderungen konfrontiert und müssen dafür nachhaltige Lösungsangebote entwickeln.
Während der Projektlaufzeit wurden sich ergänzende Governance Konzepte entwickelt, die aktuell in weiterführenden Projekten umgesetzt und erprobt werden.
Während die Europäische Union und die Nationalstaaten nicht fähig oder nicht willens sind Lösungen für die krisenhafte Europäische Migrations- und Asylpolitik zu finden, haben sich in den letzten Jahren immer mehr europäische Städte und Kommunen bereit erklärt, Schutzsuchende proaktiv aufzunehmen. Diese progressiven Kommunen stehen für ein solidarisches Europa, das Menschenrechte achtet und Verantwortung für den Schutz von Menschenleben übernimmt. Diese Kommunen können einen wichtigen Teil zur Lösung für die migrationspolitischen Herausforderungen beitragen. Wir schlagen dafür ein Governance-Konzept vor, dass auf eine direkte Relocation von Geflüchteten von den Außengrenzen Europas in aufnahmebereite europäische Kommunen setzt. Ein Algorithmus gestütztes Matching-Verfahren kann dabei eine zentrale Rolle spielen, um die Bedarfe der Schutzsuchenden und die Angebote der aufnahmewilligen Kommunen abzugleichen und in eine möglichst gute Übereinstimmung zu bringen.
Aus dieser Idee entsprang das Pilotprojekt Re:Match zur bedarfsorientierten und individualisierten Aufnahme von Geflüchteten via Matching.
Um die freiwillige Aufnahme von Geflüchteten nachhaltig zu organisieren und auf eine breite Basis zu stellen, sollten in den Kommunen Entwicklungsbeiräte aus politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Repräsentant*innen gebildet werden, die die Ausrichtung und Ausgestaltung der zukünftigen Politik beraten und deren Umsetzung vorbereiten. Sie beruhen auf dem Grundsatz, dass eine inklusive, nachhaltige Entwicklung am besten funktioniert, wenn alle relevanten Akteursgruppen beteiligt sind. Hier ist der Ort, sich gemeinsam Gedanken über die demographische Entwicklung der Kommune zu machen: über Bedarfe und mögliche Angebote in der Wirtschaft und in Bezug auf Arbeitskräfte und deren Ausbildung, über den Ausbau der dazu nötigen Infrastruktur, über Bildung und Weiterbildung, über Angebote an Wohnraum, über Perspektiven der kulturellen Weiterentwicklung und der sozialen Integration aller Bürgerinnen und Bürger des Ortes. Denn Integration ist in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft grundsätzlich eine dauernde allgemein-gesellschaftliche Herausforderung und Aufgabe, nicht nur im Zusammenhang mit Geflüchteten, sondern auch im Hinblick auf alle marginalisierten Personen.
Das Format der Kommunalen Entwicklungsbeiräte wurde inzwischen in mehreren Modellprojekten umgesetzt.
Gemeinden können sich aufgrund ihrer demografischen, aber auch wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung dafür entscheiden, Geflüchtete aufzunehmen. Einen zusätzlichen Anreiz dafür erhalten sie, wenn sie die Kosten der diesbezüglichen Integration von einem europäischen Integrations- und Entwicklungsfonds erstattet bekommen und zusätzlich in derselben Höhe finanzielle Mittel zur eigenen Entwicklung erhalten. Als zusätzlichen Anreiz darüber hinaus sollten sie Mittel in gleicher Höhe für die eigene kommunale Entwicklung erhalten. Die Kommunen, welche mehr Verantwortung übernehmen, hätten somit die finanziellen Mittel dafür. Zudem würden die Städte und Gemeinden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell eine Wiederbelebung erfahren, da z.B. Mittel für Kulturprojekte zur Verfügung stünden. In vielen europäischen Regionen, aus denen die Menschen abwandern, würde somit außerdem eine positive Dynamik auslöst werden. Anstatt Angst vor dem Verlust von nationalstaatlicher Souveränität und Kompetenz zu haben, könnten die Mitgliedstaaten das freiwillige Angebot der Städte und Gemeinden als möglichen Weg aus der Reformblockade annehmen.
Zum Konzept europäische Integrations- und Entwicklungsfonds wurde ein Rechtsgutachten von uns publiziert sowie mehrere Panels gehalten.
Europa braucht dringend eine mittel- und langfristige Strategie, die die Aufnahme von Schutzsuchenden nicht als Bedrohung versteht, sondern Grundrechte schützt. Ein dezentraler und partizipativer Ansatz vernetzter Kommunen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik könnte der EU den Anstoß zu einem positiven Neubeginn geben, indem die Aufnahme von Geflüchteten nicht als Belastung empfunden wird, sondern ihre Integration als Impuls für eine nachhaltige Entwicklung genutzt wird.
2018 – 2022
Schöpflin Stiftung